Feist gastierte mit etwas anderer Rockshow in Wien

Rockshows folgen ungeschriebenen Regeln: Oft wechseln Acts für ein paar akustische Songs gegen Ende des Sets von der großen auf eine kleine Bühne. Feist geht bei ihrer aktuellen Tournee den anderen Weg. Auch beim Gastspiel am Donnerstag in Wien, dem ersten seit 2012, spielte sie zunächst solo in der Mitte des Saales, dann mit Band auf der Hauptbühne. „Es ist ein wenig wie eine Installation“, sagte sie im APA-Gespräch.

Mit dieser Aussage bezog sich die 47-Jährige auf den angeblichen Fan, der während des Konzertes mit dem Handy filmte – und dessen Eindrücke auf eine Leinwand projiziert wurden. Viel spannender: Feist brachte ein knappe Stunde lang, umgeben vom Publikum und nur leicht erhöht, neue und alte Songs alleine mit ihrer Gitarre, bevor sie mit ihren Mitmusikern die restlichen Lieder in üppigere Arrangements kleidete. Auch Gedichte trug die Künstlerin vor.

„Es ging darum, Elemente wegzunehmen, die eine Rockshow ausmachen“, erläuterte Feist das Konzept. Sonst stehe ja „eine Person oben im Licht und sendet nach unten ins Publikum“, sagte sie. „Ich habe nie wirklich gefühlt, dass ich dort hingehöre. Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder eine normale Show spielen kann. Na ja, wir sind im Sommer bei Festivals aufgetreten, da mussten wir das tun. Aber mir wurde klar, die andere Herangehensweise ist spannender für mich.“

Anders, zumindest als der Vorgänger „Pleasure“ (von 2017), ist auch das neue Studiowerk „Multitudes“. Feist: „Beim Album davor bin ich so weit wie möglich in Richtung Lo-Fi gegangen – so weit, bis meine Zehen über einen Abgrund geragt haben und ich das Gefühl hatte, nicht mehr weitergehen zu können.“ Sie habe damals gedacht, nichts im Leben sei perfekt und klinisch, warum sollte das die Musik sein? „Es war wie eine Reflexion, was es heißt, Mensch zu sein. Da gibt es auch viel Durcheinander. Darin habe ich mich damals wohl gefühlt.“

Als sie nach zwei Jahren das Album wieder hörte, habe sie „wie ein Teenager“ aufbegehrt: „Ich bin das nicht!“, lachte Feist beim Gespräch im Gasometer. „Mir wurde bewusst, wie weit ich mich an den Rand begeben hatte. Die kommenden zwei Jahre dachte ich nach, wie die Produktion des nächsten Albums sein könnte. Mir wurde klar, dass ich mich um 180 Grad drehen und in die exakt andere Richtung gehen musste.“

Feist komponierte während der Pandemie. „Ich hatte ein digitales Aufnahmegerät und konnte damit experimentieren“, erzählte sie. „Ich habe gelernt, es zu manipulieren, von nahe und von weiter weg ins Mikro zu singen. Das fühlte sich dann wie zwei Charaktere an, die über dieselbe Geschichte reden.“ Nahm sie früher alles quasi live auf und fügte dann ein paar Overdubs hinzu, wagte die Kanadierin für „Multitudes“ einen anderen Prozess.

„Ich spielte die Songs zunächst solo ein, dann kamen vier begnadete Musiker dazu. Sie konnten die Lieder frei interpretieren und ihren Part beisteuern“, erläuterte Feist. „Wir ließen die Musiker einfach spielen, was immer sie wollten, dann war es wie Schnitzen: von der Instrumentierung so viel wegzunehmen, bis der Song dem entsprochen hat, was ich mir vorgestellt habe. Im Kern des Albums steckt eine Intimität, aber die Lieder sind massiv produziert und arrangiert.“

Auch bei der Stimme ging Feist einen neuen Weg: „Ich habe immer durch einen Verstärker oder durch Effektgeräte gesungen. Das hat das ursprüngliche Signal immer gebrochen, bevor es das Ohr der Hörer erreicht hat. Dieses Mal überlegte ich, wie es wohl wäre, wenn ich genau das Gegenteil mache.“

„Multitudes“ ist durchaus eine Herausforderung, der es sich lohnt zu stellen. Gleiches galt für die gestrige mehr als zweistündige Darbietung. Schade eigentlich, dass sich nur 1.500 Besucherinnen und Besucher darauf eingelassen haben.

(APA)

Quelle: Lesen Sie Vollen Artikel