Sie hat ihr Glück gefunden

Sie spielte die Sex-Göttin, obwohl ihr nie danach war. Sie zog sich aus, obwohl sie am liebsten davongelaufen wäre. Sie mimte einen Vamp beim Kopulieren ¬und brach danach in Tränen aus.

Eigentlich ging Kim Basinger, 70, bei den Dreharbeiten zum Film "9 ½ Wochen" (1986), der sie weltberühmt machen sollte, nur ihrer Arbeit als Schauspielerin nach, nämlich eine New Yorker Galeristin zu spielen, die einem Wall-Street-Börsianer verfällt. Doch diese Story setzte ihr so zu, dass sie nur von den Qualen am Set sprach und in einem Interview mit dem "Studio Magazine" zugab: "Es gab keinen Tag, an dem ich nicht das Gefühl hatte, an meinen Emotionen zu ersticken."

Das ist der wahre Hintergrund einer Frau, an die man sich noch heute, nach Jahrzehnten, als das Sexsymbol Hollywoods erinnert. Am 8. Dezember wird Kim Basinger 70 Jahre alt. Von Hollywood und seinem unerbittlichen Trubel hat sie sich weitestgehend zurückgezogen, weil sie das auch gesundheitlich nicht mehr erträgt.

Kim Basinger leidet unter einer Angststörung

Sie hat einen komplizierten Lebensweg hinter sich, und es ist eine bittere Ironie, um nicht zu sagen Tragik dieser Geschichte, dass ausgerechnet die junge Südstaatlerin aus Georgia, die unbedingt Schauspielerin werden will, an einem Syndrom leidet, das sich mit der Schauspielerei überhaupt nicht verträgt: Kim Basinger, Tochter eines Jazzpianisten und einer Synchronschwimmerin und Abkömmling von deutschen, schwedischen und schottisch-irischen Vorfahren, leidet an Agoraphobie, einer Angststörung, die öffentliche Auftritte unendlich erschwert.

Als junges Mädchen modelt sie nach der High School sehr erfolgreich, doch sie ist so schüchtern, dass sie kaum sprechen kann, wenn Fremde im Raum sind. Außerdem kann sie kaum in den Spiegel schauen, weil sie glaubt, nicht den Ansprüchen zu genügen.

Diese Furcht entwickelt sich zur Krankheit, die nicht behandelt wird, denn Kim Basinger will sich nicht ihren Störungen stellen, sondern das extreme Gegenteil erreichen und mit aller Macht Schauspielerin werden. Bevor sie ihre Ausbildung im William Esper Studio für darstellende Künste in New York absolviert, ist sie auf den Titelseiten sowie in Hunderten von Werbespots zu sehen. Sie tritt sogar als Sängerin in diversen Clubs im Greenwich Village auf.

Ihre Karriere nimmt Fahrt auf

Dann zieht es sie nach L.A. Sie gibt das Modeln auf, ergattert kleinere Rollen in bekannten TV-Serien wie "McMillan & Wife" oder "Drei Engel für Charlie", bekommt sogar eine Hauptrolle im Fernsehfilm "Katie: Portrait of a Centerfold". Schließlich posiert sie nackt für den "Playboy" und wird 1983 Bond-Girl im letzten Film mit Sean Connery (1930-2020) als James Bond in "Sag niemals nie". Das macht sie berühmt – als Sexsymbol.

Das Publikum ahnt jedoch nicht, dass diese verführerische junge Frau unter den Angstattacken ihrer Agoraphobie leidet und zeitweise ihre Wohnung nicht mehr verlassen kann, weil sie draußen Panikanfälle bekommt.

Nach dem Hype um den Bond-Film und die "Playboy"-Fotos bekommt sie Hauptrollen in mehreren Kinofilmen, spielt unter anderem an der Seite von Robert Redford, 87, in "Der Unbeugsame". Dann kommt 1986 das Projekt "9 ½ Wochen". Es ist die Verfilmung eines Bestsellers, in dem die Autorin unter dem Pseudonym Elizabeth McNeill anschaulich über ihre Sadomaso-Beziehung schreibt.

Um die Rolle dieser Elizabeth bemühen sich Stars wie Isabella Rossellini, 71, und Kathleen Turner, 69, doch Regisseur Adrian Lyne, 82, entscheidet sich für Kim Basinger, weil "sie ist wie ein Kind, sie ist unschuldig". Diese Unschuld muss gebrochen werden, das ist im Kern die Handlung des Films.

Er zeigt im Wesentlichen "Kim Basinger und Mickey Rourke beim Sex", schreibt der "Spiegel". "Sex vor dem Kühlschrank, auf verregneten New Yorker Kellertreppen und in einem Yuppie-Apartment, so unheimlich wie ein Geisterhaus. Sex in Stöckelschuhen und Strapsen. Sex mit Augenbinde. Mit Peitsche und Handschellen."

Ein Striptease, der in die Filmgeschichte eingeht

Kim Basinger, die schon beim Casting weinend aus dem Studio geflohen ist, verkörpert die verführerische Elizabeth perfekt. Zu den Klängen von Joe Cockers Hit "You Leave Your Hat On" legt sie einen Striptease hin, der in die Filmgeschichte eingeht – die Schlüsselszene von "9 ½ Wochen".

Der Film floppt in den USA, wird aber in Europa ein Hit und spielt 100 Millionen Dollar ein. Und die Basinger gilt als die Verführung schlechthin, derweil sie sich privat mit ihren Ängsten in ihrer Wohnung verbarrikadiert.

Als Schauspielerin spielt sie jetzt in der ersten Liga. Es folgt "Batman" (1989) mit Jack Nicholson, 86, und Michael Keaton, 72, mit 400 Millionen Dollar Gewinn ihr größter kommerzieller Erfolg. Das ist der Gipfel, danach beginnt der Abstieg, zumindest der wirtschaftliche.

Die Kritik meint es nicht gut mit Kim Basinger

Eigentlich müsste ihr schauspielerisches Talent, das sie allein bei der Überwindung ihrer Ängste vor der Kamera hinlegt, überragend sein. Doch die Kritik würdigt das nicht. Sechsmal wird sie als schlechteste Darstellerin für die "Goldene Himbeere" nominiert, 2018 erhält sie den Negativ-Preis als schlechteste Nebendarstellerin für ihre Rolle "Fifty Shades of Grey – Gefährliche Liebschaften", es war ihr bislang letzter Film.

Wie sehr in Hollywood das Diktat der absoluten Unberechenbarkeit regiert, zeigt Kim Basingers größter persönlicher Triumph auf: 1998 wird ihr, die stets als heißeste Anwärterin auf die "Goldene Himbeere" erbarmungslos durch den Kakao gezogen wurde, der Oscar als beste Nebendarstellerin in "L.A. Confidential" verliehen.

Wer weiß, welchen künstlerischen Verlauf ihre Karriere genommen hätte, wenn sie 1992 nicht die Hauptrolle in "Basic Instinct" abgelehnt hätte. Sie will (und kann) einfach kein Sexsymbol mehr sein. So bekommt Sharon Stone, 65, die Rolle – und wird ein Weltstar.

Ein Jahr später muss Kim Basinger Insolvenz anmelden. Sie hat sich bei einer Grundstückinvestition übernommen und einen teuren Rechtsstreit mit einer Produktionsfirma nach ihrem Rückzug von dem Film "Boxing Helena" hinter sich.

Auch ihr Privatleben sorgt für Wirbel

Ähnlich turbulent verläuft ihr Privatleben. Die erste Ehe mit dem Maskenbildner Ron Snyder, 84, wird 1990 geschieden; er bekommt acht Jahre lang 9.000 Dollar Monatsunterhalt. Nach angeblichen Affären mit dem Produzenten Jon Peters, 78, dem Sänger Prince (1958-2016) sowie dem Modedesigner Alexio Gandara und Gerüchten zufolge auch Richard Gere, 74, heiratet sie 1993 Alec Baldwin, 65. 1995 kommt Tochter Ireland zur Welt, 2002 ist die Scheidung.

Die Trennung gestaltet sich zum Drama, an dem die Welt teilnimmt und sich jahrelang am Rechtsstreit um das Sorgerecht für die Tochter ergötzt. Inzwischen sollen sich die Beteiligten wieder vertragen.

Kim Basinger hat ihre Krankheit weitgehend überwunden. Sie ist Großmutter, wohnt fern vom Trubel im Süden von Kalifornien in der Nähe ihrer Tochter und lebt glücklich mit dem Friseur Mitch Stone zusammen. Sie engagiert sich für den Tierschutz und schreibt viel, vor allem Kinderbücher. Sie sagt, sie habe Frieden mit ihrem Leben und ihrer Karriere gemacht. Das heißt, dass eine große, unverstandene Frau von Hollywood endlich auch Frieden gefunden hat.

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